Mentaltraining im Badminton - Von Favoriten und Außenseitern

Lothar Linz präsentiert Ideen zur Meisterung der spezifischen Herausforderungen des Kampfes "David" gegen "Goliath".

Es ist immer wieder das gleiche Spiel. Da trifft der Tabellenführer auf den Abstiegskandidat. Eigentlich eine klare Sache, oder? Und doch passiert es nicht selten, dass der Favorit Probleme bekommt und so Punkte lässt, die ihm möglicherweise am Ende fehlen. Obwohl das doch eigentlich gar nicht sein dürfte.
 
Zu verstehen, wie es dazu kommt, ist gar nicht schwer. In der Wahrnehmungs-Psychologie gibt es den schönen Satz: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.“ Wenn man einfach nur die Stärke der einzelnen Spieler addieren müsste, würde das favorisierte Team jedes Mal gewinnen. Aber zum Glück ist es nicht so. Im Mannschaftssport gibt es immer auch einen „Mehrwert“, den ein Team erzielen kann. Und Favoriten haben gerade gegen vermeintlich kleine Gegner das Problem, dass sie diesen Mehrwert nur selten aus sich rausholen. Der Underdog aber ist in einem solchen Duell besonders heiß und motiviert. Persönliche Eitelkeiten und Konflikte treten vorübergehend zurück und so kann das Team einen erheblichen Mehrwert erzielen. Und am Ende möglicherweise für eine Überraschung sorgen.
 
 
Das Dilemma des Favoriten
 
Aus Sicht des überlegenen Gegners ist das Problem schnell beschrieben. Es geht um 2 Faktoren.
 
1. Überheblichkeit
 
Zum einen droht dem Team, den Kontrahenten zu unterschätzen. Das ist selten eine Frage des normalen Denkens, denn vordergründig sind sich Trainer wie Athleten dieser Gefahr bewusst, so dass sie auch gerne in Interviews vor dem Spiel davon sprechen. Das Problem lauert mehr im Hinterkopf, im Unterbewusstsein. Da können Sie als Trainer noch so sehr vor der Überheblichkeit warnen, etwas in den Köpfen Ihrer Spieler sagt diesen, dass das eben kein so wichtiges Spiel sei und dass es keiner 100-prozentige Anstrengung bedürfe, um am Ende 2 Punkte mehr auf dem Konto zu haben. Und wenn man genau hinschaut, werden Sie als Trainer durch Ihr Verhalten dieses Denken unbeabsichtigt auch fördern. Denn auch Sie strahlen nicht die gleiche Anspannung aus wie vor dem Spitzenspiel gegen den Aufstiegskontrahenten. Erfahrungsgemäß spüren Athleten so etwas sehr genau. Sie sind für unterschwellige Botschaften äußerst sensibel.
 
2. Selbstverständlichkeit
 
Was kann das Team an einem solchen Tag eigentlich gewinnen? Der Erfolg wird doch von allen erwartet. Jeder Spieler hat in der Woche wiederholt gehört, dass man das nächste Spiel locker gewinnen werde. Also sind die 2 Punkte eine Selbstverständlichkeit, sozusagen schon in die Tabelle eingerechnet. Um so unangenehmer, ein solches Duell zu verlieren. Malen Sie sich nur mal aus, was die Spieler am nächsten Tag in der Zeitung lesen und was sie sich auf der Arbeit anhören müssen. Peinlich, peinlich.
 
Psychologisch ergibt sich also ein Zwickmühle. Bei einem Sieg winkt keine Ehre, bei einer Niederlage aber jede Menge Häme. Die Wirkung dieser Situation ist einfach beschrieben. Die Leichtigkeit und Spielfreude leidet, der Druck bekommt eine unangenehme Tönung und am Ende sind alle froh, wenn sie das Spiel gut hinter sich gebracht haben. Wie anders ist die Situation für den Außenseiter, um wie viel positiver seine Motivation!
 
 
Die Situation des Außenseiters...
 
Weiter oben habe ich schon deutlich gemacht, dass der Außenseiter einen großen Vorteil hat, denn er kann in diesem Spiel nichts verlieren. Eine Niederlage wäre ja das Normalste der Welt. Der Außenseiter kann also befreit aufspielen. Gleichzeitig bietet die Möglichkeit, einen der „Großen“ zu schlagen, einen besonderen motivationalen Anreiz. Diesen Vorteil sollten Sie sich auf jeden Fall zu Nutze machen.
 
Doch für den Außenseiter gibt es auch ein großes Problem. Denn für die Spieler ist es oftmals schwierig, an die eigene Chance zu glauben. Leicht wird der Kontrahent als übermächtig erlebt. Das führt dann zu einer vorschnellen inneren Aufgabe, zu einem „sich-in-die-Niederlage-fügen“. Wer nicht an sich und seine Chance glaubt, kann aber nicht gewinnen. So sagte einmal Jason Stoltenberg über seinen Schützling, den Wimbledonsieger und derzeitigen Weltranglistendritte im Tennis, Lleyton Hewitt: „Seine Stärke ist: Er verliert nie den Glauben an den Sieg. Und mag es noch so schlecht aussehen.“ Und Olaf Kölzig, der deutsche Eishockey-Nationaltorhüter äußerte 2004 nach dem Gewinn des DEL-Titels mit den Frankfurt Lions in einem Interview: „Man muss immer optimistisch sein und an seine Chance glauben. Auch wenn sie nur klein ist. Alles ist möglich.“
 

... und wie Sie sie erfolgreich lösen können

 
Die größte Herausforderung für den Außenseiter ist also nicht der Favorit, sondern er selber! Nämlich, an sich und seine Chance zu glauben. Wenn ich das erkannt habe, dann bin ich als Außenseiter schon einen Schritt weiter, denn dann begreife ich, dass ich mich mit mir selber beschäftigen muss, egal ob es gegen Dresden geht oder gegen Grimma. Ich mache mir zwar ein paar taktische Überlegungen zum Gegner und legen mir einen Handlungsplan zu recht, aber der Mittelpunkt meiner Gedanken bin dennoch ich. So gewinne ich Kontrolle über die Situation, und das macht mich sofort stärker.
 
 
Übung: Die Siegprozente
 
Fragen Sie Ihre Mannschaft, wie hoch sie die Chance, den Favoriten zu schlagen, einschätzt. 10 Prozent? 20 Prozent? 30 Prozent? Schreiben Sie die Zahl für alle sichtbar auf. Und jetzt überlegen Sie zusammen, wie Sie es schaffen können, aus z.B. bisher 20 Prozent im Spiel 25 Prozent zu machen. Und was verhilft Ihnen zu 30 %? Sammeln Sie Detail um Detail. Prozentpunkt um Prozentpunkt. Denn eine Quote von 40 % hieße schon, dass Sie 4 von 10 Spielen gewinnen würden! Erzählen Sie das Ihrer Mannschaft. Ihre Spieler werden staunen. Und an Selbstvertrauen gewinnen. Denn das war jetzt ja keine Zauberei, sondern einfach eine strategische Arbeit. Und vergessen Sie nicht, die „neue“ Zahl an Stelle des anfänglichen Wertes für alle sichtbar aufzuschreiben.
 
 
Helfen kann Ihnen dabei, in der Bibel nachzulesen, wie David gegen Goliath gewann. Diese Geschichte ist sehr lehrhaft, ist es für uns doch die Urgeschichte des Siegs eines krassen Außenseiters gegen einen Favoriten. Was die Geschichte sehr deutlich macht, sind folgende Aspekte:
 
Ø David überraschte den Gegner und handelte dabei ohne Zögern und ohne Angst.
Ø David verließ sich ganz auf seine Stärken (à Steinschleuder).
Ø Er vermied es, etwas zu versuchen, was er nicht kann (à Ablehnung der Verwendung von Schwert und Rüstung).
Ø Er traf den scheinbar Übermächtigen an dessen Schwachpunkt (à ungeschützte Stirn. Erinnert das nicht auffällig an den Tod Siegfrieds in der Nibelungensage, der ebenfalls eine verwundbare Stelle hatte, die ihm zum Verhängnis wurde?)
Ø Er zögerte nicht, dem bewusstlosen Goliath den Kopf abzuschlagen, bevor dieser sich wieder erholen konnte.
 
Genau das scheinen mir auch im Volleyball entscheidende Faktoren zu sein, mit denen Sie als Außenseiter erfolgreich sein können. Jeder Favorit hat mindestens einen Schwachpunkt. Und Ihr Team hat sicher ein paar besondere Stärken, die Sie gezielt gegen diese(n) Schwachpunkt(e) einsetzen können. Wichtig ist, dass Sie dabei schnell und entschlossen handeln. Nutzen Sie den Überraschungseffekt und verpassen Sie dem Gegner sofort den finalen „Todesstoss“.
 
Für Letzteres ist es notwendig, dass Sie sich bewusst auf diesen Moment vorbereiten. Damit die Spieler keine Angst vor Ihrer Courage bekommen. Das sie nicht erschrecken und denken: „Huch, wenn wir jetzt noch die nächsten 5 Punkte machen, dann können wir tatsächlich den Favoriten schlagen.“ Und plötzlich werden ihre Spieler ganz aufgeregt und ungeduldig und machen Fehler, die man zuvor die ganze Zeit nicht gesehen hat. Das Dumme im Volleyball ist ja, dass man einen Vorsprung nicht verteidigen kann. Auch bei 2:0-Satzführung ist das Spiel noch offen. Um so mehr gilt es also, weiterzumachen. Nicht an das Ende denken, sondern jeden Ball genauso aggressiv und entschlossen zu bearbeiten wie bisher. Damit der Gegner sich nicht fangen kann, sondern sich immer mehr im Netz der Überraschung und der drohenden Blamage verfängt. Wenn der Gegner seine Souveränität verliert, wenn sich in seinen reihen Angst breit macht, dann ist das Ihre Chance. Denn diese Angst lähmt ihn und raubt ihm seine Fähigkeiten.
 
 
Und was hilft dem Favoriten zum Sieg?
 
Gut, jetzt habe ich mich ausführlich damit beschäftigt, wie der Außenseiter eine Überraschung schaffen kann. Dem Außenseiter gebührt der vortritt, denn er hat es anerkanntermaßen schwerer. Denn trotz aller oben beschriebenen Maßnahmen wird die Überraschung natürlich der seltenere Fall sein. Der Favorit ist ja nicht umsonst in dieser Rolle. Er hat sie sich in der Vergangenheit verdient, durch gute Leistungen, durch Erfolge, durch den besseren Tabellenrang und durch die Stärke seines Kaders. Wichtig ist vor allem, dass man als überlegenes Team dieses Selbstvertrauen in das Spiel mitnimmt. Es macht dabei keinen Sinn, den Gegner künstlich stark zu reden, wie das manche Trainer gerne tun. Zum einen werden die Spieler das kaum glauben, und wenn doch, so erreichen Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie haben wollen, denn jetzt wird Ihr Team zu viel Respekt aufbauen und dadurch möglicherweise vorsichtiger als notwendig agieren. Handeln Sie also aus einem Bewusstsein der eigenen Stärke. Denn es gilt: Wenn Sie heute Ihre Leistung bringen, kann der Gegner Sie nicht bezwingen.
 
Aber wie bekommt man die Gefahr mit der Überheblichkeit im Hinterkopf in den Griff? Das ist ein echtes Problem und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich bis heute keine optimale Lösung dafür gefunden oder bei jemand anderem gesehen habe. Mir imponieren Teams wie Friedrichshafen im Volleyball oder Kiel und Flensburg im Handball, die in der vergangenen Saison dieses Problem erstaunlich gut im Griff hatten. Aber selbst Friedrichshafen wäre beim Start in die Play-Offs fast gestrauchelt.
 
Dennoch kann man natürlich einige Faktoren nennen, die helfen können:
 
Ø Stimmen Sie Ihre Athleten in Einzelgesprächen auf die Bedeutung des Spiels ein. Im Einzelgespräch wird nämlich der kollektive Trend zur Überheblichkeit abgemildert.
Ø Setzen Sie Handlungsziele statt Ergebniszielen. Wenn ein Sieg angeblich „selbstverständlich“ ist, so kann es für das Team ein Anreiz sein, z.B. 20 direkte Punkte mit dem Aufschlag zu erzielen oder den gegnerischen Außenangreifern nur eine bestimmt Anzahl von erfolgreichen Angriffen zu ermöglichen usw.
Ø Fragen Sie das Team, wie viele Punkte es für den Sieg gegen den Außenseiter gutgeschrieben bekommt und wie viele es für einen Sieg gegen ein Top-Team sind. Beides Mal 2 Stück? Aha, das bedeutet also, dass beide Spiele gleich wertvoll sind, oder nicht?
Ø Fordern Sie besonders einen guten Start in das Spiel, um dem Außenseiter gar nicht erst Auftrieb zu geben. Oftmals kann man dem Gegner so schon früh „den Zahn ziehen“. Hätte David in einem längeren Kampf wirklich eine Chance gegen Goliath gehabt?
Ø Lassen Sie sich die Spieler besonders gründlich aufwärmen. Und greifen Sie ein, wenn das Aufwärmen zu wenig Anspannung bei den Spielern offenbart. Unterbrechen Sie das Einspielen ruhig, auch wenn das ungewöhnlich ist, und weisen Sie die Mannschaft darauf hin, was Sie sehen und wohin das führen kann.
Ø Achten Sie auf sich selber. Gehen Sie als Trainer als gutes Beispiel voran, indem Sie dieses Spiel mindestens genauso aktiv und akribisch angehen wie ein Duell mit einem anderen Favoriten.
 
Wenn Sie diese Faktoren umsetzen, dann sind Sie immer noch nicht gegen eine negative Überraschung gefeit, aber Sie kommen dem eigenen Erfolg ein paar große Schritte näher. Und das ist dann schon eine Menge.
  
Über den Autor:
 
Lothar Linz ist erfolgreich als Sportpsychologe in den verschiedensten Sportarten tätig und konnte bereits viele Athleten auf dem Weg zum Weltmeistertitel oder zur olympischen Medaille unterstützen.
 

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